Im heutigen Beitrag von KRISENSICHER – dem Blog rund um Organisationale Resilienz in der Polykrise geht es um den oft fehlenden Mut von Entscheidern, anzuerkennen, dass es überhaupt eine Krise gibt.
Eines der größten Probleme im Falle einer Krise ist nicht das Managen der Krise selbst, sondern die Angst vieler Entscheider, eine Krise auszurufen und damit anzuerkennen, dass es überhaupt eine Krise gibt. Der Krisenexperte Rico Kerstan hat dafür das Wort FOPAB kreiert. Es steht als Abkürzung für Fear of Pressing the Alarm Button in Anlehnung zur bekannteren FOMO, der Fear of Missing out.
Der Rote Knopf war in Zeiten des Kalten Krieges im Westen das Symbol dafür, bei einem atomaren Angriff der Sowjetunion den atomaren Gegenschlag auszulösen und damit die Gefahr einzugehen, sämtliches Leben auf der Erde auszulöschen. Wir können von einem großen Glück sprechen, dass weder die eine noch die andere Seite im großen Systemantagonismus den Knopf jemals drücken musste.
Seit dieser Zeit aber steht der Rote Knopf als Symbol des letzten Lösungsweges, als Zeichen eines allerletzten Mittels, wenn alle anderen Versuche, ein Problem zu lösen, nicht mehr funktionieren. Leider hat sich der Rote Knopf auch bei vielen Entscheidern in Wirtschaft, Verwaltung und Politik als letztes Mittel eingebrannt. Kein Wunder, dass sie mit dem Drücken des Roten Knopfes etwas Schlimmes und Schreckliches verbinden.
Entscheider leiden oft unter FOPAB
Doch dieses Denken ist im Krisenmanagement völlig unangebracht. FOPAB kann beispielsweise beim Lösen einer Unternehmenskrise fatale Folgen haben, auch wenn das Unternehmen sonst sehr gut auf Krisensituationen vorbereitet ist und es einen hohen Reifegrad der Krisenresilienz besitzt.
Bei nicht wenigen Unternehmen, die einen gut vorbereiteten Krisenstab haben, deren Führungsteams regelmäßig zu Krisenübungen zusammenkommen, die alle möglichen Krisenhandbücher und Checklisten aus der Schublade ziehen können, hatte so manche Krise dennoch bereits verheerende Folgen. Die Entscheider litten schlichtweg unter FOPAB.
Der Grund: Die Krise wurde nicht als solche anerkannt und damit alle vorbereiteten Mechanismen der reaktiven Krisenbewältigung völlig ungenutzt brach liegengelassen. Oder: Die Krise wurde zwar als Krise erkannt, aber der Krisenmodus aus Angst erst ausgerufen, als all die schön vorbereiteten Maßnahmen und das vorher lang eingebübte Verhalten der Mitglieder des Krisenstabes nutzlos verpufften. Also viel zu spät.
Die Idee des Moduswechsel hat leider noch hohen Stellenwert
Krisenresilienz heißt nämlich auch, ein Bewusstsein dafür zu entwickeln, wann sich eine Krise anbahnt, und wann es Zeit ist, in den Krisenmodus zu wechseln. Dabei muss es auch nicht immer einen Zeitpunkt X geben, an dem von dem Nicht-Krisenmodus komplett in den Krisenmodus gewechselt wird.
Die Idee des radikalen Moduswechsels hat leider in der Szene der Sicherheits- und Krisenmanager noch einen hohen Stellenwert. Das kommt daher, dass im staatlichen Bereich der Wechsel von Nicht-Krise zu Krise beispielsweise mit der Ausrufung des Katastrophenzustands einhergeht.
Das ist ein formaljuristischer Akt, bei der zum Beispiel eine Landkreisverwaltung in eine Sonderstruktur ähnlich einem militärischen Stab umgewandelt wird. Mit der Ausrufung der Katastrophe tritt die Verwaltung in ganz andere Rechtsverhältnisse.
Es gibt einen Zwischenzustand
Angesichts der Herausforderungen der Epoche der Polykrise, in denen mehrere gleichzeitig laufende Krisen sich zu einer großen krisenhaften Zeit verdichten, die dann wiederum ganz andere Charakterzüge aufweisen kann als die Einzelkrisen, muss auch die scharfe Trennung zwischen Krise und Nicht-Krise überdacht werden. Unter progressiv gesinnten Mitgliedern unserer Szene, die wie die Macher dieses Blogs der Meinung sind, dass Krisenmanagement neu gedacht werden muss, hat sich längst die Auffassung durchgesetzt, dass es auch einen Zwischenzustand gibt.
In diesem Zwischenzustand deutet sich eine Krise an. Die Experten sehen sie schon am Horizont ankommen. Doch die Entscheider sehen sie noch nicht, weil sie noch zu sehr mit dem Horizont verschwimmt. Oder sehen auch die Zeichen, verneinen das Kommen der Krise aber bewusst.
Denn Krise und Krisenmanagement machen ja immer auch Arbeit und bringen Unruhe in ein Unternehmen oder eine Organisation. Das ist dann klassische Vogel-Strauß-Politik nach dem Wahlspruch „Es ist bisher immer alles gut gegangen“. Ein klassischer Fall von FOPAB.
Krisenmanager müssen Entscheidern Angst vor FOPAB nehmen
Hier muss modernes Krisenmanagement ansetzen: Zum einen muss es bei Entscheidern ein Bewusstsein schaffen, dass es in Zeiten der Polykrise mehr und mehr dazu kommt, dass es oft einen Zwischenzustand zwischen Krise und Nicht-Krise gibt. Ein Schwebezustand sozusagen, in dem ein krisenhaftes Phänomen ganz schnell in eine handfeste Krise ausarten kann.
Auf diese Erkenntnis aufbauend, müssen moderne Krisenmanager zum anderen Entscheidern die Angst davor nehmen, den Krisenmodus auszurufen. Sie müssen sie aufklären, welche Vorteile es hat, beispielsweise schon den Krisenstab einzuberufen, damit der dann schon einmal vorbereitende Maßnahmen treffen kann.
Wichtig ist, dass die Entscheider in einem Unternehmen wissen, wann die Widerstandsfähigkeit des Unternehmens gegen krisenhafte Phänomene an ihre Grenzen stoßen kann. Und wann es richtig und gut ist, bereits Maßnahmen vorzubereiten. Wenn man weiß, dass bald die Badewanne voll- und damit überlaufen zu droht, sollte man schon einmal Handtücher bereitlegen.
Und modernes Krisenmanagement muss drittens Entscheidern klar machen, dass die Ausrufung des Krisenmodus nicht dasselbe ist, wie den Roten Knopf für den Einsatz von Nuklearwaffen zu drücken. Jedem Entscheider steht es frei, jederzeit den Krisenmodus wieder zu beenden, wenn die Abzeichen einer Krise dann doch nicht zu einer Krise geführt haben.
Christian F. Hirsch ist Chief of Staff der KR Krisensicher Risikoberatung GmbH. Im Blog KRISENSICHER schreibt unter anderem über Krisenkommunikation, Kommunikative Resilienz, Akzeptanzkommunikation oder die Social License to Operate.