Im heutigen Beitrag von KRISENSICHER, dem Blog rund um Organisationale Resilienz in der Polykrise, beschäftigt sich Christian F. Hirsch mit einer möglichen Krise der Krisenkommunikation.
Ich habe das ungute Gefühl, dass die Krisenkommunikation, so wie sie derzeit als Praxis in Unternehmen und Organisationen praktiziert wird, aber auch wie sie von der Kommunikatorenszene heutzutage betrieben wird, nicht gut auf die Ära der Polykrise vorbereitet ist. Ich gehe davon aus, dass die Krisenkommunikation schon bald selbst in einer Krise stecken wird.
Zu dieser Aussage ermuntern mich Beobachtungen, die ich in diesem Blog zur Diskussion stellen möchte. Wir Macher von KRISENSICHER sehen unseren Blog als Plattform, Krisenmanagement neu zu denken und an die Anforderungen der Zeit anzupassen. Das gilt natürlich auch für die Krisenkommunikation. Wir sind der Auffassung, dass auch sie neu gedacht werden muss.
Die Krisen nehmen zu. Doch noch mehr. Krisen stehen nicht mehr vereinzelt nebeneinander. Sie summieren sich und nehmen dadurch einen neuen Charakter an. Solch ein Krisensammelsurium ist hochkomplex, schwerer zu bewältigen als eine Einzelkrise. Es kommt gerade bei vielen Unternehmen zu einem krisenhaften Grundrauschen. Es ist ein Phänomen der Zeit. Wir nennen es die Epoche der Polykrise.
Viele Krisen sind heute vor allem Kommunikationskrisen
Daneben tritt noch etwas, was ich neben der quantitativen Zunahme von Krisen und dem Wandel hin zu einem krisenhaften Grundrauschen als ein drittes Merkmal der Polykrise-Krisen sehe: Die sich immer weiter hochschraubende Bedeutung von Kommunikation als Ursache, formender Begleitumstand und Lösungsweg von Krisen. Mit anderen Worten: Kommunikative Aspekte werden immer wichtiger, wenn wir über Krisen reden. Viele Krisen sind heute vor allem auch Kommunikationskrisen.
Deshalb kommt der Facette Krisenkommunikation im Zusammenspiel der Krisenmanagementdisziplinen eine immer größere Bedeutung zu. Leider aber scheint das noch nicht so erkannt zu sein. Denn für mich als jemanden, der sich seit langem praktisch und auch theoretisch mit Krisenkommunikation auseinandersetzt, scheinen mir die Entwicklungen rund um Krisenkommunikation noch allzu träge, um den Herausforderungen der Zukunft gewachsen zu sein.
Zu meiner Aussage ermuntert vor allem eine Beobachtung: Krisenkommunikation wird in vielen Unternehmen und Organisationen immer noch zu taktisch gedacht. Und das vor allem unter dem präventiven Aspekt.
Krisenmanagement hat immer zwei Pfeiler
Denn Krisenmanagement und auch Krisenkommunikation haben immer zwei Standpfeiler: Einen präventiven, mit dem die Widerstandsfähigkeit eines Unternehmens gegenüber einer möglichen Krise im Vorhinein erhöht wird. Also das Handeln vor der Krise.
Der andere Pfeiler besteht aus der Erhöhung der Reaktionsfähigkeit im Falle einer Krise, also das aktive Krisenmanagement und die aktive Krisenkommunikation als Reaktion auf die Krise. Das Handeln in der Krise.
Zwar gibt es auf dem Markt und im Internet eine Unzahl an Handlungsanweisungen, Lehrbüchern, Listen mit Tipps, Schulungen und Trainings zur Vorbereitung auf Krisenkommunikation. Nicht alle, aber doch sehr viele geben allerdings nur Hinweise, welche taktischen Maßnahmen man präventiv für die Krisenkommunikation vorbereiten kann.
Bei jedem Handeln mögliche Kommunikationsprobleme gleich mitdenken
Das reicht von Tipps, dass man schon Checklisten vor der Krise vorbereitet oder auch Dark Sites, wenn der Internetauftritt ausfällt, geht damit weiter, dass man schon vor der Krise wichtige Journalisten kennen sollte, und endet meistens bei dem Herzensratschlag, regelmäßig Krisen und Krisenkommunikation zu üben. Nur um einige Maßnahmen zu nennen.
Das sind alles sehr wichtige Dinge, die ich jedem Kommunikator, der sich und sein Unternehmen auf eine Krise vorbereiten will, nur wärmstens ans Herz legen kann. Doch es sind eben alles nur taktische Maßnahmen. Was gebraucht wird, ist aber ein strategischer Ansatz. Oder auch: eine neue, holistische Herangehensweise, Krisenkommunikation grundsätzlich als vorausschauende Problemkommunikation zu sehen.
Dazu gehört, bei jeder Kommunikation, ja bei jedem unternehmerischen Handeln grundsätzlich auch gleich mitzudenken, ob es zu einem Kommunikationsproblem werden könnte, aus dem dann wiederum eine Kommunikationskrise erwachsen kann. Schon eine klare Unterteilung zwischen Normal- und Krisenkommunikation, wie sie von vielen Kommunikatoren üblicherweise gedacht wird, birgt Gefahren.
Kommunikation immer aus dem Blickwinkel der Gesamtorganisation betrachten
Es gibt eben auch einen Zwischenzustand: die Problemkommunikation. Kommunikatoren müssen ein Gefühl dafür entwickeln, ob irgendwo ein Problem am Entstehen ist, das zu einer Krise führen kann. Das ist dann der erste Schritt in Richtung Problemkommunikation.
Kommunikatoren, die schwer erklärbare, gesellschaftlich sensible, politisch heikle Produkte oder Projekte kommunizieren müssen, wissen das seit langem. Sie betrachten Kommunikation immer unter den Mechanismen der Problemkommunikation. Sie haben ein Gefühl dafür, was zu einer Krise führen kann. Sie schauen mit dem strategischen Auge aus dem Blickwinkel der Gesamtorganisation auf ihr Kommunikationshandeln.
Doch noch mehr. Sie haben sich nicht nur ein Gefühl dafür antrainiert, wo die Gefahren lauern könnten. Der bekannte siebte Sinn. Die meisten Problemkommunikatoren verlassen sich allerdings nicht nur auf ihren siebten Sinn. Sie haben auch handfeste Mechanismen der Vorausschau in ihre Kommunikationsprozesse integriert, wie sie Probleme oder Krisen frühzeitig erkennen können.
Kontakt zu den Kollegen aus den Sicherheitsabteilungen halten
Sie betreiben beispielsweise Issues Management. Sie monitoren systematisch alles, was für ein Unternehmen gefährlich werden könnte. Und wenn sie dann frühzeitig ein Problem identifiziert haben, dann ergreifen sie auch schon frühzeitig Maßnahmen.
Professionelle Problemkommunikatoren halten auch immer sehr engen Kontakt zu den Kolleginnen oder Kollegen der Sicherheitsabteilungen. Oftmals betreiben die nämlich ganz systematisch Corporate Security Intelligence. Die haben nämlich Herangehensweisen entwickelt, die frühzeitig Gefahren vorausschauen lassen.
Von ihnen können wir Kommunikatoren uns noch viel abschauen. Uns fehlt es nur zu oft an dieser systematischen Vorausschaukompetenz. Mein persönlicher Kollegentipp: Schaut Euch ruhig einmal an, wie die Corporate Security Intelligence-Typen arbeiten. Ihr werdet es nicht bereuen und sehr viel für unsere Profession mitnehmen.
Krisenkommunikation muss sich zu vorausschauender Problemkommunikation entwickeln
Wenn wir Kommunikatoren die Unternehmen und Organisationen, für die wir arbeiten, in Krisen schützen wollen, müssen wir die Krisenkommunikation neu denken. Dazu gehört es unter anderem, Krisenkommunikation strategisch auch als Problemkommunikation zu betrachten und unsere Vorausschaukompetenzen zu stärken.
Nur wenn wir Krisenkommunikation zur einer strategischen und vorausschauenden Problemkommunikation entwickeln, sind wir in der Lage, die kommunikative Widerstandsfähigkeit von Unternehmen und Organisationen zu erhöhen und sie kommunikationsresilienter und damit auch krisenresilienter zu machen. Nur so werden wir Polykrise-Krisen kommunikativ meistern können. Doch das ist nur ein Aspekt eines Neudenkens der Krisenkommunikation.
Christian F. Hirsch ist Chief of Staff der KR Krisensicher Risikoberatung GmbH. Im Blog KRISENSICHER schreibt er unter anderem über Krisenkommunikation, Kommunikative Resilienz, Akzeptanzkommunikation oder die Social License to Operate.