Im heutigen Beitrag von KRISENSICHER, dem Blog rund um Organisationale Resilienz in der Polykrise, beschäftigt sich Christian F. Hirsch näher mit der Frage, warum eigentlich nur eine schlechte Krisenübung aus der Sicht der Übungsleitung eine gute Übung sein kann.
Es klingt sicherlich schon etwas hart, wenn ich hier behaupte, dass nur eine schlechte Krisenübung eine gute Krisenübung ist. Aber das ist meine Herangehensweise als jemand, der für Unternehmen und Organisationen Krisenübungen plant, das Drehbuch schreibt und dann die Übung als Übungsleiter auch fährt.
Meine Kollegen und ich werden oft gerufen, wenn es bei Unternehmen einen Notfall oder eine Krise gab und das Notfall- und Krisenmanagement – drücken wir es einmal freundlich aus – suboptimal gelaufen ist. Wir hören dann oft: „Wir haben doch so ein tolles Krisenteam und wir üben ja auch regelmäßig. Und in den Übungen bekommen wir jede Krise gelöst.“
Wenn wir dann weiterfragen, dann kommt meistens eins ans Tageslicht: In vielen Unternehmen und Organisationen wird eine Krisenübung als eine Art Happening gesehen. Da kommt das Krisenteam einmal im Jahr zusammen, übt gemeinsam, hat Spaß. Und nach Übungsende trinken alle zusammen noch ein Feierabendbierchen. Dabei klopfen sich alle auf die Schulter und freuen sich, dass wieder alles so gut gelaufen ist.
Oftmals bereiten dann noch dieselben Leute, die auch in der Übung beübt werden sollen, auch die Übung vor. So wird sichergestellt, dass später an die Geschäftsführung hochgemeldet werden kann: „Übung super gelaufen. Krisenmanagement steht. Wir sind für die Krise gewappnet.“
Der Erkenntnis- und Lerneffekt für das Krisenteam ist bei dieser Herangehensweise gleich Null. Die Gefahr für das Unternehmen riesengroß. Denn: Bei einer Krisenübung geht es nicht darum, die perfekte Performance abzuliefern, sondern darum, Fehler zu machen und daraus zu lernen. Wenn am Ende der Übung alle Beteiligten erleichtert feststellen, dass alles reibungslos verlaufen ist, dann war die Übung vielleicht gut für das Ego, nicht aber für die Resilienz des Unternehmens.
Deshalb sollte eine Übung immer von Menschen vorbereitet und geleitet werden, die nicht zum Krisenteam gehören und die nicht beübt werden. Es gehört auch schon etwas Erfahrung und Übung darin, eine solche Übung vorzubereiten und ein gutes Drehbuch mit den richtigen Einspielern zu schreiben, die wirklich zur Alltagsrealität des Unternehmens oder der Organisation passen.
Eine gute Übungsleitung ist übrigens in allen drei Phasen einer Krisenübung gefragt. In der Vorbereitungsphase legt sie eine klare Zielsetzung fest. Sie fragt: Was soll die Übung bewirken? Welche Fähigkeiten sollen getestet werden? In der eigentlichen Übungsphase legt sie Wert auf authentische Szenen: Die Übung sollte so realistisch wie möglich sein, um eine echte Krisensituation zu simulieren. Und in der Nachbesprechung gibt sie gezieltes Feedback, um die Lerneffekte zu maximieren.
Denn darum geht es: um die Lerneffekte – für die einzelnen Mitglieder des Krisenteams, für das Team als Ganzes und für die Gesamtorganisation. Der wahre Wert einer Krisenübung liegt darin, die Schwachstellen im System, in den Prozessen und in der Zusammenarbeit des Teams offenzulegen. Eine Krisensituation ist per Definition chaotisch und unvorhersehbar. Daher muss eine gute Übung genau das simulieren: Druck, Unklarheit, widersprüchliche Informationen und plötzliche Wendungen. Ziel ist es, die Grenzen der Belastbarkeit des Krisenteams zu testen und zu überwinden.
Ein weit verbreitetes Missverständnis ist aber leider immer noch, dass ein Krisenteam in der Übung erfolgreich sein muss, um die Kompetenz der Teilnehmer zu beweisen. Doch das Gegenteil ist der Fall: Je mehr die Teilnehmenden gefordert werden und je mehr sie ins Straucheln geraten, desto größer ist der Lerneffekt. Nur durch das Scheitern erkennen die Übungsteilnehmer, wo sie sich verbessern können – sei es in der Kommunikation, der Entscheidungsfindung oder im Umgang mit Stress.
Eine Übung, die aus Sicht des Krisenteams schlecht läuft, bedeutet oft: Es gibt widersprüchliche Informationen, die schwer zu interpretieren sind. Die Kommunikationskanäle sind überlastet oder unklar. Entscheidungen müssen unter Zeitdruck und mit unvollständigen Informationen getroffen werden. Es treten unerwartete Entwicklungen auf, die den Plan durcheinanderbringen. Solche Szenarien erzeugen Stress und Unzufriedenheit, sind aber essenziell, um echte Krisenfähigkeit zu entwickeln.
Wenn wir in der Übungsleitung beispielsweise sehen, dass sich das Krisenteam gefunden hat, eingespielt ist, die Kommunikation im Griff hat, also eine für das Team beginnt, eine gute Übung zu werden, dann greifen wir immer sofort ein. Dann gibt es Einspielungen, die diese Wohlfühlsituation sofort wieder verschlechtern.
Anders als in einem Drehbuch für einen Film, in der es für jede Szene nur einen Text gibt, stehen in einem Krisenübungsdrehbuch oft mehrere alternative Einspieler, so dass man die Übung und den Erkenntnisgewinn lenken kann. Das Schreiben von Krisenübungsdrehbüchern ist deshalb eine total kreative Geschichte und erfordert schon einige Erfahrungen.
Eine gute Krisenübung soll eben nicht glatt und perfekt verlaufen. Sie soll fordern, Fehler aufdecken und Lernchancen bieten. Unternehmer und Führungskräfte sollten sich bewusst sein, dass das kurzfristige Unbehagen, das durch das Scheitern in einer Übung entsteht, langfristig die Resilienz des Unternehmens stärkt. Denn: Die wahre Krise wartet nicht darauf, dass alle perfekt vorbereitet sind – aber sie wird von denen gemeistert, die aus ihren Fehlern gelernt haben.
Deshalb sollten Geschäftsführer und Führungskräfte, die ihrer Organisation den Auftrag geben, regelmäßig das Krisenteam zu beüben, darauf achten, dass es eine Übungsleitung gibt, die auch in er Lage ist, eine Übung so zu planen, dass es eine schlechte Übung ist. Wenn immer nur gute Übungsverläufe hochgemeldet werden, sollte man als Führungskraft arg vorsichtig sein. Es klingt skurril: Aber eine schlechte Krisenübung ist immer die beste Vorbereitung auf eine wirkliche Krise.
Christian F. Hirsch ist Chief of Staff der KR Krisensicher Risikoberatung GmbH. Im Blog KRISENSICHER schreibt er unter anderem über Krisenmanangement und Krisenkommunkation, Kommunikationsresilienz, Akzeptanzkommunikation oder die Social License to Operate.