Im heutigen Beitrag von KRISENSICHER, dem Blog rund um Organisationale Resilienz in der Polykrise, beschäftigt sich Christian F. Hirsch mit der Frage, welche Kriterien ausschlaggebend sind, dass man von einem gut arbeitenden Krisenstab sprechen kann.

Wahrscheinlich werde ich jetzt vielen enttäuschen müssen, die nach Superformel für den perfekten Krisenstab suchen. Ein solche Formel gibt genauso wenig wie die perfekte Führungsformel oder die Formel für den perfekten Sales-Prozess, obwohl viele marktschreierische Verkäufer uns gerade in den sozialen Medien das verkaufen wollen.

Aus Spaß am Hinterfragen und an der Wissenserweiterung beschäftigen wir uns im Beraterteam der KR Krisensicher Risikoberatung GmbH intensiv mit der wenigen wissenschaftlichen Literatur, die es zum Thema der Effektivitätsbeurteilung von Krisenstäben gibt. Unsere Erkenntnis: Die meisten kommt die Krisenforscher zu demselben Ergebnis wie wir Praktiker

Krisenstäbe sind zwar hochkomplexe Gebilde und es gibt viele Faktoren, die die Arbeit solcher Stäbe und Teams beeinflussen. Doch im Grund sind es eine Handvoll von Merkmalen, die man überhaupt nur abprüfen muss, um zu wissen, ob ein Krisenstab gut arbeitet.

Doch bevor man zur Beurteilung nach der Effektivität eines Krisenstabes kommt, dienen diese Kriterien überhaupt erst einmal dazu, zu prüfen, ob das, was einem als Stab zur Krisenbewältigung präsentiert wird, überhaupt mit Recht einen solchen Namen trägt. Denn in vielen Unternehmen und Organisationen ist ein Krisenstab oft nichts anderes als ein umdeklariertes Managementmeeting. Das heißt: dieselbe Struktur, dieselben Entscheidungsprozesse mit derselben auch sonst verwendeten Technik und auch dieselben Kommunikationspraktiken.

Das aber funktioniert nicht. Denn ein Krisenstab ist immer eine Sonderorganisation und besteht aus einem speziell zusammengestellten Team, das in akuten Krisensituationen die Koordination, Entscheidungsfindung und Kommunikation übernimmt, um die Krise effektiv zu bewältigen. Ein Krisenstab arbeitet unter hohem Zeit- und Entscheidungsdruck und in einem Zustand, der von Informationsunterversorgung und Informationsüberversorgung zugleich geprägt ist.

Der Ursprung von Krisenstäben ist in militärischen Führungsstäben oder in Stäben zu sehen, die Einsatzkräfte von Polizeien oder auch Feuerwehren führen. In diesen Organisationen wurde ein Führungssystem entwickelt, mit dem unter Zeit- und Entscheidungsdruck Lösungen für Probleme gefunden werden können, die den Truppenführern als Entscheidungshilfe dienen.

So spricht man in diesen Organisationen klassisch davon, dass ein Führungssystem eines solchen Führungsstabes aus den drei Komponenten (1) Führungsorganisation, (2) Führungsprozess und (3) Führungsmitteln besteht. Das kann man natürlich auch „zivil“ ausdrücken: Dann spricht man von (1) Aufbau, (2) Ablauf und (3) Ausstattung. Nach diesen drei Kriterien sollte man auch bei Krisenstab eines Unternehmens fragen, wenn man wissen will, ob er gut aufgestellt ist und gut arbeitet.

(1) Aufbau: Es gibt auf der Welt viele verschiedene Aufbauorganisationen für einen Krisenstab. So ist das klassische Stabsmodell des deutschen Militärs und der deutschen Feuerwehren weit verbreitet. Es ist in der Feuerwehrdienstvorschrift 100 beschrieben. Ursprünglich wurde es vom preußischen Militär für die Kriegsführung entwickelt, findet heutzutage aber auch in Unternehmen Anwendung. In den USA dagegen ist das Konzept des Incident Command Systems (ICS) gebräuchlich. Es ist eine standardisierte Herangehensweise, um auf Notfälle und Krisen zu reagieren. In einigen Unternehmen in Deutschland werden bereits Konzepte eines agilen Krisenmanagements verwendet. Es ist eine Synthese aus den Ideen moderner Managementmethode und denen klassischer Krisenstäbe.

Egal, welches System aber angewendet ist, wichtig ist, dass die Krisenorganisation so aufgebaut wird, dass sie in die bestehende Organisation passt und nicht wie ein Fremdkörper wirkt. Die Frage also, welche Krisenorganisation eines Unternehmens aufgebaut ist und wie sie integriert ist, ist relevant, um festzustellen, ob ein Krisenstab überhaupt dafür aufgestellt ist, gut zuarbeiten.

(2) Ablauf: Mit Ablauf ist gemeint, ob es in dem Krisenstab einen eigenen Prozess zur Entscheidungsfindung gibt. Auch im Bereich der Krisenmanagementprozesse gibt es eine ganze Reihe von historisch gewachsenen Konzepten. Im amerikanischen Militär heißt der Führungsprozess Military Decision-Making Process (MDMP). Es handelt sich um ein strukturiertes Verfahren zur Entscheidungsfindung, das von militärischen Führern auf verschiedenen Ebenen genutzt wird, um komplexe Operationen zu planen und durchzuführen. Dieser Prozess findet weltweit in vielen anderen Bereichen auch schon außerhalb des Militärs Anwendung.

Der MDMP ist ähnlich dem deutschen Führungsprozess, wie er in der Bundeswehr und auch bei deutschen Feuerwehren in einer leicht abgewandelten Form Verwendung findet. Der Führungsprozess ist ein systematischer Ablauf zur Entscheidungsfindung und Befehlsgebung. Er besteht aus den Phasen: (1) der Lagefeststellung, bei der Informationen gesammelt und analysiert werden, (2) der Beurteilung der Lage, bei der Lösungsoptionen bewertet und Risiken abwogen werden, und der Entschlussfassung, bei der die beste Handlungsoption ausgewählt wird, (3) der Befehlsgebung, bei der klare Befehle formuliert und weitergegeben werden sowie (4) der Kontrolle, mit der die Umsetzung der Befehle überwacht wird. Für die spezifischen Bedingungen von Wirtschaftsunternehmen und eines agilen Krisenmanagements wurde der militärische Führungsprozess beispielweise im Problemlösungs-P und der Dreitafelmethode weiterentwickelt.

Wer wissen will, ob ein Krisenstab eines Unternehmens so aufgestellt ist, dass er gut arbeiten kann, muss als erstes danach fragen, ob es einen solchen speziellen, strukturierten Managementprozess zur schnelle Entscheidungsfindung unter Druck gibt. Wenn es ihn nicht gibt und nur die sonst im Unternehmen üblichen Diskussions- und Aushandlungsmechanismen angewendet werden, darf man erst gar nicht vor einem Krisenstab sprechen. Wenn es aber auf dem Papier, beispielsweise festgeschrieben in Krisenhandbüchern, einen solchen Prozess in einem Krisenstab gibt, er aber nicht angewendet oder falsch angewendet wird, auch dann dürfte man eigentlich nicht von einem Krisenstab sprechen. Das ist eigentlich der heikelste Punkt. Denn leider ist es so, dass die meisten Krisenstäbe von Unternehmen in Deutschland noch nie etwas von einem speziellen Krisenmanagementprozess gehört haben.

(3) Ausstattung: Das dritte A zur Beurteilung eines Krisenmanagementsystem eines Unternehmens steht für die Ausstattung. Ein Krisenstab braucht eine optimale Ausstattung, um schnell und effektiv arbeiten zu können. Dazu gehören zum ersten eine geeignete räumliche Ausstattung. So kann ein Krisenstab gut arbeiten, wenn separater, störungsfreier Raum mit guter Infrastruktur als eine jederzeit nutzbares Lagezentrum oder Krisenraum eingerichtet. In dem Raum gehören Whiteboards und Pinnwände zu Visualisierung von Informationen sowie Konferenztechnik in Form Telefone, Videokonferenzsysteme für interne und externe Abstimmung. Zur Ausstattung gehören auch sichere Kommunikationswege mit Backup-Systemen, Notfallhandys, Satellitentelefonen, Checklisten zu standardisierten Abläufen für die schnelle Reaktionen und auch der Zugang zu Experten und Beratern. Außerdem sind Getränke und Snacks für die Konzentration notwendig. Nur ein gut ausgestatteter Krisenstab kann schnell reagieren, klare Entscheidungen treffen und eine Krise effektiv steuern.

Neben den drei As für Aufbau, Ablauf und Ausstattung als Faktoren, ob ein Krisenstab gut arbeitet, gibt es noch zwei Ks. Die beiden Ks stehen für die Faktoren interne Kommunikation und externe Kommunikation.

(4) Interne Kommunikation:  Ein Krisenstab ist immer Teil eines Unternehmens. Er agiert nicht im luftleeren Raum. Er bereitet Entscheidungen für die Geschäftsführung vor und gibt Anweisungen und Aufträge an die Unternehmensteile, die operativ mit der Bewältigung der Krise beschäftigt sind. Alle anderen Unternehmensteile muss er über die Situation informiert halten. Deshalb kommen den internen Krisenkommunikationsprozessen und den Kommunikationsschnittstelle eine besondere Bedeutung zu. Nur wenn die interne Kommunikation und das Schnittstellenmanagement richtig funktionieren, dann kann ein Krisenstab gut arbeiten.

(5) Externe Kommunikation: Genauso wenig wie ein Krisenstab innerhalb eines Unternehmens in einem luftleeren Raum agiert, handelt ein Unternehmen unabhängig von seiner Umwelt. Gerade heute in Zeiten einer Omnipräsenz der sozialen Medien aber auch der klassischen Medien gilt: Fast jede Unternehmenskrise bekommt sehr schnell einen medialen Zwilling. Aber nicht nur die Medien interessieren sich dafür, was in einem Unternehmen in einer Krise so abgeht: Familienangehörige der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, Kunden, Zulieferer, oft auch Politiker Sozial- und Umweltaktivisten etc. Kein Unternehmen bleibt in einer Krise unbeachtet. Deshalb: Ob ein Krisenstab heute gut arbeitet, hängt zu einem Großteil davon ab, wie er die Kommunikationsschnittstellen nach außen im Griff hat.

(6) Übung: Wenn die drei As und auch die zwei Ks stimmen, dann deutet alles darauf hin, dass ein Krisenstab gut arbeiten könnte. Doch es fehlt noch ein entscheidender Faktor: das Ü. Das Ü steht für Übung. Ein Krisenstab, der auf dem Papier eine gute Krisenorganisation hat, für den ein Krisenmanagementprozess festgelegt ist, der gut ausgestattet ist und der seine internen und externen Schnittstellen gut definiert hat, wird scheitern, wenn er nicht häufig das Zusammenspiel der drei As und zwei Ks übt.

Deshalb ist alleinige der Exponent, der die Summe aus Aufbauorganisation, Ablaufprozess, Ausstattung und externer sowie interner Kommunikation potenziert, die Übung. Üben, üben, üben! Fast schon drillmäßig. Das ist das Erfolgsrezept eines guten Krisenstabes In eine Art mathematikähnliche Sprache gefasst, könnte man schreiben, dass ein guter Krisenstab nach folgender Formel funktioniert:  (3a+2k)ü

Allerdings muss man hier einschränkend feststellen, dass man durch immer mehr Üben die Effektivität eines Krisenstabes nicht ins Unendliche steigern kann, wie das Ü als Exponent in der Formel ausdrückt. Irgendwann setzt natürlich eine Sättigung ein. Deshalb ist die Formel weit davon entfernt, eine Superformel zu sein. Aber man kanns erst einmal ganz gut mit ihr arbeiten, um zu sehen, ob ein Krisenstab gut aufgestellt ist.

Christian F. Hirsch ist Chief of Staff der KR Krisensicher Risikoberatung GmbH. Im Blog KRISENSICHER schreibt er unter anderem über Krisenmanangement und Krisenkommunkation, Kommunikationsresilienz, Akzeptanzkommunikation oder die Social License to Operate.

 

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